Betrachtet man heute die spärlich erhaltenen Bestände an Gebrauchsgeschirren im Vergleich zu den weitaus zahlreicheren künstlerischen Fayencen, so entsteht leicht ein falscher Eindruck. Tatsächlich wurden Massenartikel damals – wie auch später – wesentlich stärker dezimiert. Teuere Erzeugnisse waren zu allen Zeiten sorgsam gehütete Familienschätze und sind heute wertvolle Sammlerstücke. Den großen Bedarf an Trinkgefäßen befriedigten die Fayencemanufakturen in unterschiedlichster Qualität, vielfältigen Formen und durch umfangreiche Produktion. Besonders persönliche Trinkgefäße blieben auch nach ihrem Gebrauch geschätzte Erbstücke und schließlich begehrte Antiquitäten. Im Gegensatz zu den weniger „handlichen“ und offensichtlich seltener hergestellten Kugelbauchkrügen und Enghalskannen erfreuten sich die populären und praktischen Walzenkrüge sowie Birnkannen großen Beliebtheit. Aus Walzenkrügen oder Humpen hat man direkt und vorzugsweise Bier getrunken. Dagegen dienten Kannen mit Ausguss zum Ausschenken von Wein oder Most. Verständlicherweise bestand ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den regionalen Trinkgewohnheiten und den Produkten nahe gelegener Manufakturen. In Gegenden mit Biertrinkern fertigte man vorwiegend Walzenkrüge. In Weinanbaugebieten, wie beispielsweise Teilen Österreichs oder in Baden, dominierten Birnkannen. Die im badischen Durlach entwickelten, birnförmigen Schenkkannen – anfangs mit eingedrücktem, später mit angesetztem Ausguss – wurden fast ausschließlich zum Ausschenken von Wein benützt.
Trotz ihrer obligatorischen Ausguss-Schnauze und der Verwendung als Schenkkannen hat sich für die Durlacher Birnkannen in der einschlägigen Fachliteratur der Ausdruck „Krüge“ eingebürgert. Erst der informative Karlsruher Katalog hat die älteren Birngefäße – mit von Hand gekniffener Schnauze – als „Krüge“ und die nach 1834 hergestellten Erzeugnisse – mit kantig spitz angesetzten Ausgüssen – als „Kannen“ bezeichnet. Im Folgenden wird der Einfachheit halber die traditionelle Bezeichnung „Krug“ verwendet, obwohl die Durlacher „Birnkrüge“ formal Schenkkannen sind. Dafür sprechen auch die zahlreichen, den Wein preisenden Spruchdekore. Dazu zwei typische Beispiele: „Das Bier schmeckt wen(n) man ist durstig – der Wein ist besser und macht lustig“ oder „Vivat lustig Grenadier, der Wein schmeckt beßer als das Bier“. Neben zahlreichen dieser Lobsprüche bestätigen außerdem Malsujets mit Winzern oder Rebstöcken die Vorliebe für den Rebensaft. Für Biertrinker hat Durlach – wenn auch seltener – „Humpen“ hergestellt. Die in Karlsruhe 1975 ausgestellten 14 Walzenkrüge und 110 Birnkannen dürften prozentual in etwa dem Produktionsverhältnis entsprechen. Die Ausstellung 1975 vermittelte einen umfassenden Überblick über das vielfältige Durlacher Warensortiment. Trotz künstlerisch hochrangigeren Erzeugnissen ist die Durlacher Fayencefabrik vor allem durch ihre beliebten Birnkrüge bekannt geworden. Sie nehmen in der deutschen Fayencekunst eine Sonderstellung ein. Prägnant fasst dies ein Zitat aus dem Karlsruher Katalog zusammen: „Der für Most und Wein benutzte Birnkrug ist das charakteristischste Erzeugnis der im Weinland Baden gelegenen Durlacher Manufaktur.“ Kein Wunder, dass mehr als ein Fünftel der Ausstellungsobjekte aus solchen typischen „Krügen“ bestand. Auf ihren Besitz sind Museen ebenso wie Privatsammler stolz. Heute tauchen Durlacher Birnkannen nur noch vereinzelt auf dem Antiquitätenmarkt auf und erzielen bei Versteigerungen beachtliche Preise.
Die ersten charakteristischen Durlacher „Birnkrüge“ stammen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Von da an wurden sie fast hundert Jahre – sieben Jahre über das Manufakturende (1840) hinaus – hergestellt. Sie sind nicht einheitlich groß, sondern kommen in Größen zwischen etwa elf bis ungefähr 24 Zentimetern vor. Überwiegend sind sie jedoch etwa 18 bis 22 Zentimeter hoch, wobei auch die Durchmesser variieren. Auffallend schlanke Krüge wurden in den 70er-Jahren gefertigt. Trotz uneinheitlicher Proportionen sind sie unverwechselbar und zeichnen sich durch folgende Charakteristika aus: Über dem schräg nach außen gestellten, schmalen Standreif erhebt sich, in nach unten ausladender Birnform, der schlanke bis deutlich gebauchte Korpus; er geht dann in den nach oben erweiterten Hals über. Eine kleine Schnauze ist mit den Fingern in den frontalen Rand gedrückt („eingefaltet“). Anfangs schwach und eher gerundet, wurde dieser Ausguss gegen Ende des 18. Jahrhunderts kräftiger und ab den frühen 1830er-Jahren als kantige Spitzschnauze ausgebildet. Der nach unten leicht konische Ohrenhenkel ist außen deutlich gewölbt und innen abgeflacht. Er ist etwa ein bis drei Zentimeter unter dem Lippenrand angesetzt und endet knapp über der stärksten Korpuswölbung in einer kleinen „Nase“. Nahe am oberen Ansatz ist auf den Henkelrücken ein kleines Loch zum Befestigen eines Zinndeckels angebracht. Allerdings blieb die Mehrzahl der Krüge „ungedeckelt“. Mit dem Deckel zusammen wurde fast immer auch ein Zinnreif am Stand oder ein „geschlossener Zinnschuh“ angebracht. Dieser Teil der Zinnmontierungen sollte die empfindlichen Fayencen beim zu harten Absetzen oder Abstellen schützen. Bei nicht zinngefassten Kannenböden ist der hell bis ockerrote – später auch schmutzig braune – Scherben (gebrannte Masse) sichtbar.
Birnkrug: Namensbeischrift: „Christian Otto Meierer — Salomea Meierin“ und „1801“. In einer typischen, bekrönten Rocaillenreserve die Zunftembleme der Weisgerber, darüber die Namensbeischrift und die Jahreszahl 1801. Die Kartusche wird seitlich von Löwen flankiert. Der Krugrand ist ohne die zu dieser Zeit übliche Bordüre. In dieser Ausführung entspricht die Malerei den Dekoren der Frühphase (um 1760) und belegt, dass in Durlach auf Wunsch auch traditionelle Sonderwünsche noch wesentlich später ausgeführt wurden.
Birnkrug: Mit Empire-Urnen in Rocaillenkartusche. Beischrift: „Salomea Valentinin in Köndringen – 1821“. Solitäre weibliche Namen kommen relativ selten vor. Wie sehr Kundenwünsche offensichtlich das Dekor bestimmt haben, zeigt hier die Verbindung der modisch klassizistischen Urnenvasen mit der traditionellen Rocaillenkartusche.
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